Forscher: Wie sich der Klimawandel auf Migration auswirkt

Extreme Trockenheit am Stausee Pantà de Sau in der Provinz Barcelona, Katalonien. Foto: Adobe Stock / miquelrc Extreme Trockenheit am Stausee Pantà de Sau in der Provinz Barcelona, Katalonien. Foto: Adobe Stock / miquelrc

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat seinen Sitz auf dem Telegrafenberg im Südwesten der Brandenburger Landeshauptstadt, von dort erforscht das PIK die Erderwärmung. Der Klimaphysiker Jacob Schewe leitet hier eine Forschungsgruppe, die sich mit den Auswirkungen der Erderwärmung auf Fluchtbewegungen beschäftigt – und möglichen Lösungen.

Herr Schewe, im vergangenen Jahr kam eine Studie der Universität Exeter zu dem Schluss, dass bei einer Erwärmung von 2,7 Grad zum Ende des Jahrhunderts etwa ein Drittel der Weltbevölkerung in Regionen mit bedenklich hohen Temperaturen leben muss. Eine realistische Prognose?

Jacob Schewe: Ja, das halte ich für eine plausible Abschätzung. Die Studie stellt fest, dass dieser Teil der Weltbevölkerung unter klimatischen Bedingungen wird leben müssen, die nie zuvor ein Mensch erlebt hat. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle Betroffenen ihren Wohnort verlassen und migrieren werden. Diese Regionen dürften aber unwirtlicher werden, geprägt von immer stärkeren Dürren und Hitzewellen. An einiges wird sich die Bevölkerung vor Ort anpassen können, aber möglicherweise nicht an alles. Dazu kommen Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Stürme, die bereits heute jedes Jahr Millionen Menschen aus ihrem Heimatort vertreiben. Das Risiko dafür wird steigen, wie ja nicht nur wir in unserer Forschung feststellen.

Bei Ihrer Forschung zu Migration und Klimawandel haben Sie sich auf die Gefahr von Überschwemmungen spezialisiert. Kann man seriös sagen, wie stark der Einfluss der Erderwärmung auf Vertreibung ist?

Das lässt sich nicht pauschal sagen, aber mit Blick auf Einzelereignisse modellieren. Dazu ein Beispiel, das aufzeigt, wie der Klimawandel ein Extremereignis bereits vor einigen Jahren signifikant verstärkt hat: In einer Fallstudie haben wir den verheerenden Wirbelsturm Idai aus dem Jahr 2019 in Mosambik untersucht, der eine halbe Million Menschen zur Flucht zwang. Der Zyklon hatte zu starken Überschwemmungen geführt und unsere Forschungsfrage lautete, inwiefern der Klimawandel bei der Vertreibung eine Rolle gespielt hat. Das bringt zwangsläufig Vereinfachungen mit sich, aber wir haben die Überflutung physikalisch modelliert und dabei den Klimawandel aus den Windgeschwindigkeiten und schließlich der Fluthöhe herausgerechnet.

Mit welchem Ergebnis?

Laut der Modellierung wären rund drei Prozent und damit rund 20 000 Menschen weniger zur Flucht gezwungen gewesen, hätte es den Klimawandel nicht gegeben. Diese drei Prozent lassen sich nicht auf alle Überflutungen weltweit verallgemeinern. Wir wissen jedoch, dass global die Überflutungsrisiken steigen, auch bei uns in Deutschland. Stark vereinfacht gesprochen steigt mit jedem Grad der Erwärmung die Menge an Wasser, die sich in der Luft halten kann, um sieben Prozent – damit nimmt extremer Starkregen zu.

Der Klimaphysiker Jacob Schewe leitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) eine Arbeitsgruppe zu den Folgen der Erderwärmung auf Gesellschaften, vor allem zu den Auswirkungen auf Migrationsbewegungen. (Foto: Klemens Karkow; PIK / Karkow/Klemens Karkow)

Rechnen Sie mit großen Klima-Fluchtbewegungen nach Deutschland und Europa, oder spielt sich die meiste Migration innerhalb der Landesgrenzen ab?

Sicherlich müssen sich Deutschland und Europa nicht darauf einstellen, absehbar mit sehr vielen Klima-Flüchtlingen aus anderen Ländern umgehen zu müssen. Das liegt ganz einfach daran, dass sich die Menschen wie bei der Flucht vor Kriegen erst einmal in der Region orientieren und zum Beispiel in die nächste Stadt oder einfach weg von der Front flüchten. Tendenziell erfolgt die meiste Migration innerhalb von Ländern, wir sprechen von Binnenmigration. Laut der Internationalen Organisation für Migration ist jeder siebte Mensch auf der Erde ein Migrant. Demnach gibt es schätzungsweise 763 Millionen Menschen, die innerhalb ihres Heimatlandes migriert sind, und 281 Millionen Migranten, die Ländergrenzen überschritten haben.

Und in welche Staaten gehen die Menschen?

Menschen auf der Flucht finden vor allem in angrenzenden Ländern Asyl; diese nehmen in der Regel deutlich mehr Geflüchtete auf als weiter entfernte Staaten. Es ist allerdings wichtig, das Thema Klima und Migration in einem größeren Zusammenhang zu sehen: Vertreibung durch den Klimawandel wird es künftig in fast allen Ländern der Welt geben. Auch in den reichen Ländern müssen schon heute immer wieder Menschen vor Naturkatastrophen fliehen oder in Sicherheit gebracht werden, sei es wegen Waldbränden in Kalifornien oder wegen Überschwemmungen in Spanien. Und der Klimawandel erhöht diese Gefahren. Für den globalen Süden, den es besonders trifft, gehen mit dem Klimawandel auch ökonomische Konsequenzen einher: Der Temperaturanstieg führt zu mehr Todesfällen, mehr Krankheiten und schränkt die wirtschaftliche Entwicklung ein. Der Klimawandel hält die Menschen in der Armut.

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 kannte Klima-Migration noch nicht als Grund für Asyl. Wäre es sinnvoll, das zu ändern?

In einer idealen Welt wäre das sicherlich eine gute Sache. Eine Anpassung ist viel diskutiert worden, aber wohl unrealistisch und hätte womöglich keine guten Konsequenzen. Juristische Experten befürchten sogar eine Schwächung des Schutzniveaus, sollte die Flüchtlingskonvention im derzeitigen politischen Klima neu verhandelt werden; schließlich wird schon das derzeitige Flüchtlingsrecht oft genug missachtet. Unserer Einschätzung nach lohnt es sich eher zu schauen, welche Maßnahmen praktisch umsetzbar sind. Einige Staaten haben bereits Möglichkeiten geschaffen, Klimaflüchtlinge aufzunehmen. Ein Beispiel ist Australien. Auf der Klimakonferenz COP27 im Jahr 2022 sorgte der Außenminister des pazifischen Inselstaats Tuvalu für Aufsehen, als er davor warnte, dass sein Staat im Meer versinkt. Im vergangenen Jahr schlossen Tuvalu und Australien ein Abkommen miteinander: Jedes Jahr sollen mehrere Hundert Menschen des Pazifikstaates dauerhaft in Australien aufgenommen werden. Auch dieses Abkommen ist nicht perfekt, es zeigt aber auf, wie Staaten Verantwortung übernehmen können.

Welche Verantwortung kann Deutschland international übernehmen?

Im vergangenen Jahr hat der Sachverständigenrat des Bundes für Integration und Migration einige Handlungsoptionen für den Umgang mit Klima-Migration vorgeschlagen. Konkret sind das für Deutschland drei Maßnahmen. Erstens: Ein Klima-Pass. Dieser sieht für Menschen wie aus Tuvalu, die ihre Heimat verlieren, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht vor. Zweitens: Eine sogenannte Klima-Card könnte vom Klimawandel Betroffenen einen zunächst befristeten Aufenthalt ermöglichen. Bei der dritten Maßnahme, dem Klima-Arbeitsvisum, wäre der vorübergehende Aufenthalt an einen Arbeitsvertrag gebunden. Das wären erste Schritte.

Wichtig beim Thema Klima und Migration ist es, sich die enorme Verantwortung bewusst zu machen, die wir tragen: In der Historie und nach wie vor sind es vorrangig wir in den Industrieländern, die den Klimawandel verursachen. Deshalb sollten wir den besonders darunter leidenden Menschen helfen, sich zu schützen. Wie sie sich anpassen, müssen sie selbst entscheiden – es wäre verwegen, das vorzugeben. Klar ist: Wir sollten den Ausstoß von Treibhausgasen endlich beenden.

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