Viele Manager wollen Warnzeichen für einen Burnout nicht wahrhaben, reiben sich weiter auf – bis es zu spät ist. Was hilft? Betroffene Führungskräfte erzählen ihre Geschichte und verraten, was Ihnen geholfen hat.
In der Rückschau bekommt die eigene Geschichte, die Erfolge und Niederlagen, von denen man sich und anderen erzählt, selbst für den ehemaligen Topmanager Ulf Kepper eine seltsame Systematik. Alle sieben Jahre vollzog sich eine massive Veränderung, berichtet er.
Im Jahr 2004 wird sein Unternehmen verkauft – eine Tochtergesellschaft des Chemie- und Pharmaherstellers Merck. Ab diesem Zeitpunkt führt der damals 39-jährige Kepper seine Managementkarriere unter Regie eines Private-Equity-Eigentümers fort. Kepper arbeitet sich in dem Unternehmen für Laborbedarf (sechs Milliarden Dollar Umsatz) weiter nach oben, Stress gehört dazu. Das Gefühl jener Arbeitstage: früh morgens aufwachen, der erste Adrenalinschub mit dem Gedanken „Mist, jetzt bin ich wieder hier“, ein schnelles Frühstück, ab 8 Uhr im Büro.
Burnout: Der Weg zur Diagnose
Und von da aus frisst sich im Laufe der folgenden Jahre ein psychisches Leiden in Kepplers Leben, das ihn schließlich aus der Bahn wirft. Bei Kepper wird ein Burn-out diagnostiziert. Doch der Weg zu dieser Erkenntnis ist lang. Das ist durchaus symptomatisch. Viele Topmanager brauchen lange, bis sie sich das psychische Leiden eingestehen. Und viele tun sich schwer damit, eine angemessene Lösung zu finden. Dabei zeigen Erfahrungen wie Kepplers, an welche Ärzte man sich am besten wendet – und wie man Beruf und Leben wieder in die Spur bekommt.
Kepplers Leben sieht vor der Diagnose so aus: Nach einem hektischen Vormittag folgt in der Regel ab Mittag eine Telefonkonferenz auf die andere. Je mehr die US-amerikanischen Kollegen in Übersee den Takt vorgaben, desto weiter schob sich Keppers Arbeitszeit mit der Zeitverschiebung in die Abendstunden.
Im Jahr 2011, sieben Jahre sind seit Beginn der Managerfunktion im Private-Equity-Umfeld vergangen, spürt er, dass etwas nicht stimmt. Urlaube genießt er nicht mehr wie früher. Das gute Leben, das er sich mit seiner Frau und den zwei Kindern leisten kann, ist ihm gleichgültig. Konzentrationsschwächen, Gereiztheit und Schlafstörungen kommen dazu. Kepper spricht mit einem Arzt: Jeder habe mal eine schlechte Phase.
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Die schlechte Phase verschlimmert sich und endet ein paar Monate später im Zusammenbruch. Der Hausarzt macht eine Blutanalyse: nichts. Kepper geht weiter ins Büro, die Tage werden zäher. Nebenher konsultiert er mehr als ein halbes Dutzend Ärzte, um herauszufinden, was mit ihm nicht stimmt. Sie schieben ihn ins CT, scannen seinen Kopf wegen des Schwindels. Es fühlt sich an wie eine Pechsträhne bei Monopoly: Bitte gehen Sie zurück auf Los, gehen Sie direkt dorthin! Wieder von vorn. Bloß ist das hier kein Spiel.
„Erst als eine Bekannte meiner Frau, die Psychotherapeutin ist, darauf hinwies, dass es etwas Psychisches sein könnte, kamen wir der Sache allmählich näher“, sagt Kepper. Fünf Monate nach den ersten ernsten Symptomen kommt der Zusammenbruch – nichts geht mehr. Eine Geschäftsreise mit seinem Chef muss er absagen. Der schaltet sofort und verordnet ihm eine zweimonatige Ruhephase.
Wie eine Burnout-Therapie aussehen könnte
Kepper entzieht sich das erste Mal dem Abwärtsstrudel. Er geht zu einem Psychiater, der ihm wortwörtlich sagt, dass sein „physiologisches Gleichgewicht aus der Balance“ sei. Die Antidepressiva, die er nun bekommt, lindern die Beschwerden etwas. Lösen das Problem aber nicht, denn die Ursachen liegen tiefer. Es wird ihm klar, sagt er, dass er sich von seinen Bedürfnissen und Gefühlen entkoppelt hatte.
Mit einer Psychologin arbeitet Kepper an seinen Themen, die die Symptome wie Gereiztheit und Schlafstörungen verursacht haben, und fühlt sich nach fünf Monaten wieder gerüstet, die Arbeit aufzunehmen. „Ich hatte ein paar wichtige Dinge verstanden, aber eben noch nicht alles: zum Beispiel, dass ich im Job bei Entscheidungen immer noch selbst dabei sein will und nach wie vor nicht Verantwortung delegieren wollte.“
Und so geht es weiter wie zuvor, mehrere Jahre. Kepper wird noch zum Vorstandsmitglied in seinem Unternehmen befördert. Sieben Jahre nach dem ersten Zusammenbruch melden sich wieder ähnliche Symptome. Dieses Mal erkennt er aber, worauf es hinausläuft, und zieht die Reißleine. Er verlässt das Unternehmen wegen seines Burn-outs ganz.
Warum Burnout-Therapien vor allem bei Managern schwierig sind
Dass es vor allem bei Managern oft dauert, bis ihnen eine angemessene Therapie hilft, liegt laut Professor Andreas Menke an typischen Charaktereigenschaften von Führungskräften. „Ein Manager ist ja gewohnt, Leistung zu zeigen und nicht seine Befindlichkeiten. Und es wäre ja unprofessionell, die anderen an einem schlechten Tag teilhaben zu lassen“, sagt Menke.
Er ist ärztlicher Direktor und Chefarzt der Medical Park Chiemseeblick, einer Fachklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Bayern. Der Klinikleiter hat in seiner Laufbahn schon viele Führungskräfte therapiert. Nicht selten haben sie schon einen leidvollen Weg hinter sich, bevor sie in die Spezialklinik am Chiemsee kommen. Welche Schritte sollte man also gehen, wenn das Gefühl wächst oder bereits eindeutig ist, sich Hilfe holen zu müssen?
Am Anfang steht, wie so oft, die Selbsterkenntnis. Anzuerkennen: Etwas stimmt nicht. „Der Begriff Burn-out stammt ja aus der Arbeitspsychologie und ist per se keine Diagnose. Im Falle eines Burn-outs handelt es sich um eine Art hochfunktionale Depression: Oft kann man noch arbeiten, aber die Arbeit kostet viel mehr Kraft und Energie“, sagt Menke. Warnzeichen sind häufig Freudlosigkeit und eine schwindende Merkfähigkeit.
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Diese Angebote helfen bei Burnout-Risiko
„Wichtig ist es, schnellstmöglich Hilfe in Anspruch zu nehmen. Man kann das auch als Optimierung der eigenen Managementqualitäten sehen“, sagt der Psychiater, der vor Kurzem ein Buch zu Therapieformen für Burn-out und Depression veröffentlicht hat (Depression – Wissen, was hilft. Piper 2024). Hat man das Gefühl, professionelle Hilfe zu brauchen, rät Experte Menke zu diesen Angeboten:
- Viele Hausärzte sind mit Blick auf Burn-out geschult. Sie können für eine erste Orientierungsphase krankschreiben und zu Psychiatern oder Psychotherapeuten überweisen.
- Im Rahmen von Sprechstunden und probatorischen Sitzungen bei Psychotherapeuten kann erörtert werden, welcher Therapieablauf in der individuellen Situation am besten ist.
- Auch wenn die Berührungsängste bei vielen Managern zunächst groß sind: Selbsthilfegruppen helfen dabei, mit anderen in Kontakt zu kommen und festzustellen, dass man mit seinen Problemen alles andere als allein ist.
- Angesichts von Wartezeiten für einen Therapieplatz von vielen Monaten rät Andreas Menke zu speziellen, professionellen Smartphone-Apps wie den Digas (Digitale Gesundheitsanwendungen), die von den Krankenkassen ganz oder teilweise bezahlt werden. Diese digitale Variante kann auch der Hausarzt verschreiben.
- Wenn Arbeiten unmöglich ist, können Hausärzte, Psychotherapeuten und Psychiater die Überweisung in eine Klinik beantragen.
Auf Burn-out-Syndrom spezialisierte Kliniken wie den Medicalpark am Chiemsee gibt es in ganz Deutschland. Grundsätzlich besteht die Therapie aus Psychotherapie, je nach Schwere und Wunsch des Patienten in Kombination mit einer medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva. Zusätzlich sind weitere Therapiebausteine wichtig wie Entspannungsverfahren, Achtsamkeitsübungen und Bewegung.
Je mehr die Patientin oder der Patient über den Burn-out weiß, umso besser gelingt der Umgang damit, sagt Menke. Die sogenannte Psychoedukation, also das Lernen über Auslöser und Behandlung der Beschwerden, spielt eine immer größere Rolle.
Das kann auch Ferdinand K. bestätigen. Er ist seit drei Wochen Patient in der Klinik am Chiemsee. „Ich habe das Gefühl, meinen inneren Akku endlich wieder aufladen zu können“, sagt K. Weil er nach dem Aufenthalt wieder in seine Position als leitender Compliance-Manager eines großen Dax-Konzerns zurückkehren will, bittet er darum, nur anonym genannt zu werden.
Seine „Leidensgeschichte“, wie er mit bayerischem Dialekt sagt, begann vor dreieinhalb Jahren. Ähnlich wie Ulf Kepper fühlte K. sich freudlos, war dünnhäutig. K. wurde im Alltag ungewöhnlich vergesslich. Hatte er fürs Abendessen zu Hause schon die Gabeln und Messer aufgedeckt? In welcher Schublade waren die Messer? Im Job vergaß er die Datei-Anhänge in E-Mails, die er verschickte.
„Meine Frau wies mich darauf hin, und ich habe mir ambulante Hilfe geholt: Psychotherapie und Medikamente. Dazu Sport und häufiges Laufen mit dem Hund“, sagt er. Es ging ihm zeitweise besser, er redete sich ein, sich durchbeißen zu müssen. Doch vor einigen Wochen saß er an seinem Computer im Homeoffice und seine Frau erschrak, als sie den Raum betrat: K. starrte einfach nur regungslos auf den Bildschirm, „fast schon kontemplativ“, sagt er und konnte sich nicht regen. Seine Frau drängte ihn, zum Arzt zu gehen. Die Einschätzung war eindeutig: Er muss raus aus dem Job, sofort.
Der Hausarzt stellte K. eine Überweisung in die Klinik aus. „Ausschlaggebend für den Ort war vor allem, dass es hier einen Platz gab. Anderswo hätte ich Monate warten müssen, und das wäre in meinen Augen verschwendete Zeit gewesen“, sagt er. Seine Krankenkasse hat ihm einen Aufenthalt von sechs Wochen bewilligt, drei Wochen hat er noch vor sich.
Welche Übungen gegen Burnout helfen
In dieser Zeit nutzt er Angebote wie Achtsamkeitsübungen am See, psychotherapeutische Einzel- und Gruppensitzungen und Yogastunden am frühen Morgen und Joggen in der Gruppe. Zum Programm gehören Tanz- und Musikkurse, die den Patienten einen neuen Zugang zu Gefühlen öffnen sollen.
Beim therapeutischen Segeln auf dem Chiemsee werden die Teilnehmenden mit einem Gefühl konfrontiert, das für viele von ihnen unerträglich ist: Kontrollverlust. Auf dem Segelboot ist man dem See und dem Wind ausgeliefert und muss schauen, wie man selbst und im Team damit zurechtkommt. „Man lernt außerdem etwas zur Funktionsweise des Gehirns und dass man es trainieren kann wie einen Muskel, um negatives Denken und Zweifel zu beeinflussen“, sagt K. Im Rückblick würde er jedem raten, sofort auf die ersten Warnzeichen zu hören, die einem das Umfeld spiegelt, und sich Hilfe zu suchen, bevor es zu spät ist.
Leider umweht ein Burn-out nach wie vor der Ruch des Versagens und der Schwäche. Professor Andreas Menke kritisiert, dass „Burn-out weiterhin in vielen Unternehmen stigmatisiert ist“. Kaum jemand erzähle von seinem Klinikaufenthalt. Nicht nur mit Blick auf die Kaste der Manager sei das eine bedenkliche Entwicklung. Im schlimmsten Fall münde ein Burn-out beziehungsweise eine „hochfunktionale Depression“ nämlich im Suizid. 40 Jahre lang, sagt Menke, sei die Suizidrate gesunken – nun steigt sie wieder.
Ulf Kepper hat den Weg der offensiven Transparenz gewählt. Er ist heute ein anderer. Nach seinem Burn-out dreht er seine Erfahrungen ins Positive und hilft anderen Betroffenen und Führungskräften mit einem eigenen Coaching- und Beratungsunternehmen. Gemeinsam mit einer Kollegin macht er den Podcast „Manager im Burn-out“. „Ich habe selten erlebt, dass Menschen mich als minderwertiger einschätzen, da ich einen Burn-out hatte. Vielmehr spürst du, dass du nahbarer für die Leute wirst, da du offensichtlich doch nicht so perfekt funktionierst, wie du immer wirken wolltest“, sagt er. „Das fühlt sich richtig an, anders als das sehr anstrengende Tragen einer Maske.“