Die Bundeswehr bietet Ungedienten, darunter vielen ehemaligen Kriegsdienstverweigerern, die Chance, sich zum Reservisten für die Heimatverteidigung ausbilden zu lassen. Sechs Männer erzählen, warum sie sich für diesen freiwilligen Dienst gemeldet haben.
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat sich der Blick auf die Landesverteidigung verändert. Dazu passt es, dass die Bundeswehr auch Ungediente, darunter viele ehemalige Kriegsdienstverweigerer, die Chance bietet, sich zum Reservisten für die Heimatverteidigung ausbilden zu lassen. Im Gegensatz zu Soldaten an der Front werden Reservisten zum Schutz der kritischen Infrastruktur in der Heimat eingesetzt.
Seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges haben 800 Deutsche ihre Ausbildung zum Reservisten gemacht und damit die Anzahl der Freiwilligen im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. Allein im vergangenen Jahr haben sich rund 1000 Bürger dazu entschlossen, ihre Ausbildung anzutreten. Abbrecher gibt es so gut wie keine.
Reservisten bei der Bundeswehr: Reform schafft sechs Heimatschutzregimenter
Bisher wurde die Ausbildung in Baden-Württemberg an rund 20 Tagen durchgeführt, aufgegliedert in drei verlängerten Wochenenden und eine Woche auf einem Truppenübungsplatz. Man lernte unter anderem den Umgang mit Handwaffen, insbesondere dem Gewehr G36, sanitätsdienstliche Grundlagen, Verhalten als Wach- und Sicherungssoldat, Stellungsbau sowie ABC-Schutzmaßnahmen.
Zum 1. April wurde eine Reform abgeschlossen. Alle Heimatschutzkompanien, bisher 16 Bundesländern unterstellt, unterstehen jetzt dem Heer, es gibt nur noch sechs zentrale Heimatschutzregimenter. Die Reservisten aus Baden-Württemberg gehören damit zusammen mit ihren Kameraden aus Bayern zum Heimatschutzregiment 1.
Wir haben mit angehenden Reservisten gesprochen, die uns ihre Motivation erklärt haben.
Marc Geiger, 32, Informatiker aus Wüstenrot, verheiratet, ein Kind:
„Ich bin nicht der Typ, der herumsitzt, ich möchte helfen! Deshalb habe ich mich, als die Bedrohungslage durch den Ukrainekrieg auch für ganz Europa akut wurde, als Reservist gemeldet. Ich war erstaunt, dass die Bundeswehr auch Aufgaben für Ungediente bereithält. Der Dienst als Reservist ist gut mit dem Privatleben in Einklang zu bringen. Ich muss als Soldat auf Zeit nicht verpflichtend für die Bundeswehr tätig sein und gegebenenfalls an verschiedenen Standorten bundesweit eingesetzt werden. Das hätte ich meiner Frau und meinem Kind nicht antun können. Der Einsatz als Reservist ist eine Art Zwischenlösung, denn wenn es zum Konfliktfall kommt, könnte ich in meiner Heimatregion aktiv werden.
Die kämpfende Truppe hatte für mich nur indirekt mit dem Schutz des eigenen Landes zu tun und war daher weniger präsent. Mit dem Ukraine-Krieg, einem Konflikt vor der eigenen Haustür, wuchs mein Bewusstsein um die Wichtigkeit der Wehrfähigkeit des eigenen Landes. Mit diesem Krieg wurde mir die Gefahr auf einen Schlag real. Mein erster Gedanke war: Was wäre denn, wenn so etwas bei uns geschieht?
Ich will, dass es hier in Deutschland so schön bleibt, wie es ist. Ich will niemals in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt werden. Und ich habe mir fest vorgenommen: Auch mein Sohn soll das nie erleben! Deshalb werde ich als Reservist dafür kämpfen, dass Deutschland durch eine starke Armee abschreckt.“

Dennis Mattes, 35, Geo-Informatiker aus Locherhof, verheiratet:
„Früher waren meine Frau und ich der Meinung, dass wir im Kriegsfall ins Ausland gehen und alles hinter uns lassen würden. Mit dem Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine wurde die Kriegsgefahr für Europa real, und ich dachte um: Was würde es für uns konkret bedeutet, wegzugehen? Wir hätten unsere Familien und Freunde im Stich gelassen.
Ich wollte nicht passiv sein. Die Ereignisse der letzten Wochen, seit Trump in den USA an der Macht ist, haben Europas Sicherheitskonzept dramatisch infrage gestellt. Das hat mich in meinem Entschluss bestärkt, meine Heimat und damit alles, was ich liebe, im Fall des Falles aktiv zu verteidigen. Deshalb habe ich mich als Reservist gemeldet und hoffe, noch in diesem Jahr gemustert zu werden und meine Ausbildung bei der Bundeswehr zu machen.
Im Verteidigungsfall werde ich Soldat einer Heimatschutzkompanie in Baden-Württemberg. Die Kompanie wird militärische oder andere verteidigungswichtige Infrastruktur wie Stromtrassen oder Aufmarschzonen der Alliierten schützen.“
Johannes Nagel, 36, Historiker aus Freiburg, ledig:
„Aus gesundheitlichen Gründen war ich für die Bundeswehr nach der Musterung im Jahr 2007 untauglich. Ansonsten hätte ich den Kriegsdienst damals ohnehin verweigert.
Etwa zehn Jahre später habe ich aber durch meine Doktorarbeit zu den Militärreformen in den USA vor dem Ersten Weltkrieg ein besseres Verständnis für das Dilemma des Militärs entwickelt, sich in Friedenszeiten auf einen Krieg vorbereiten zu müssen, um einen Krieg damit zu verhindern.
Im Jahr 2020 kam dann die Corona-Pandemie, die für mich der Beweis war, dass unsere Gesellschaft sehr schlecht auf Katastrophen dieser Art vorbereitet ist. Ich wurde an meinem Arbeitsplatz Ersthelfer, um nicht untätig zu bleiben. Als dann noch der Krieg in der Ukraine eskalierte, beschloss ich, mich zur Reserve zu melden.
Bereits die ersten Schritte zur Bewerbung waren nicht so leicht, wie das in den schönen Bundeswehr-Werbespots aussieht: Ich schrieb E-Mails, meldete mich für ein Online-Event an und habe Hotlines angerufen. Zum Schluss war ich in einer Schleife von drei verschiedenen Stellen – dem Assessment-Center für Führungskräfte, der Reservisten-Hotline und dem Karrierecenter – die bei Nachfrage stets auf die anderen verwiesen.
Erst als ich mit Nachdruck darauf hinwies, nur die Ausbildung für Ungediente erhalten zu wollen, bekam ich einen Termin zu einem ersten Beratungsgespräch. In diesem Jahr möchte ich mich endlich bewerben.
Für mich als Grüner und Akademiker ist es auch wichtig, zur Bundeswehr zu gehen, um dazu beizutragen, dass die Truppe die Bevölkerung insgesamt abbildet. Wenn Sie mich als Historiker fragen, ist das eine Lehre aus der Weimarer Zeit, als das Militär einen klaren Rechtsdrall hatte, was die darauffolgende Katastrophe begünstigte.“
Christian Reuter, 35, Ingenieur aus Stuttgart, verheiratet, ein Kind:
„Ich war Kriegsdienstverweigerer, weil ich die Möglichkeit hatte, über den Deutschen Olympischen Sportbund Zivildienst im Bereich des Sportes zu machen, was für mich als ambitionierter Karateka optimal war. Zum Ende des Zivildienstes habe ich meine Kriegsdienstverweigerung widerrufen und mich als Offiziersanwärter beworben. Allerdings war ich durch mein Studium der Fahrzeugtechnik so in Beschlag genommen, dass die Bundeswehr in Vergessenheit geriet.
Über Umwege kam ich zu ihr zurück: 2023 erhielt mein Unternehmen die Auszeichnung als „Partner der Reserve“. Es bedeutete, dass interessierte Mitarbeiter in ihrem Wunsch, Reservist zu werden, unterstützt werden. Ich nahm Kontakt zu einem Arbeitskollegen auf, der Hauptmann der Reserve ist und mich für das Thema begeisterte.
Im gleichen Jahr kam unsere Tochter zur Welt. Meine Frau unterstützte mich zwar bei meinem Vorhaben, jedoch entschieden wir gemeinsam aufgrund der familiären Situation, das Thema aufzuschieben. Im darauffolgenden Jahr war es dann Zeit für meine Bewerbung. Allerdings musste ich noch einige Gespräche führen, bis meine Freistellung für die Ausbildung zum Reservisten in die Wege geleitet war.
Die Verschärfung der Sicherheitslage in Europa hat mich nicht sehr überrascht. Deshalb ist es umso wichtiger, jetzt nach vorne zu blicken: Ich möchte mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es um den Schutz unserer Heimat und ihrer demokratischen Werte geht und warte auf den Beginn meiner Ausbildung zum Wachsoldaten. Kommt es zum Krisenfall und Auseinandersetzungen beim Schutz der kritischen Infrastruktur, hätte ich kein Problem damit, unser Land mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen, um unsere Freiheit zu schützen.“
Dariusz Pluschke, 50, Werkzeugmacher aus Horb, verheiratet, zwei Kinder:
„1997 habe ich den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert und im Krankenhaus Zivildienst geleistet. Über die Wichtigkeit der Bundeswehr für Europa hat man sich damals wenig Gedanken gemacht. Zwei Dinge haben mich dazu gebracht, meine Einstellung gegenüber der Bundeswehr zu überdenken: Zum einen die aktuelle Bedrohungslage in Europa, die sich überhaupt nicht mehr mit den 80er- und 90er-Jahren vergleichen lässt – und dann mein Sohn. Er wollte schon immer zur Bundeswehr, hat sich letztes Jahr bei der Luftwaffe beworben, für 15 Jahre als Feldwebelanwärter verpflichtet und tritt im September seine Ausbildung an. Dadurch beschäftigte ich mich mehr mit dem Thema, ich erfuhr viel über die in der Öffentlichkeit immer wieder diskutierte Personalknappheit. Dann entschloss ich mich, meinen Beitrag zu leisten, indem ich nun als ehemaliger Kriegsdienstverweigerer zur Truppe stoße.
Ich habe mich im letzten Jahr beim Landeskommando in Stuttgart beworben. Weil die Ausbildungsplätze dort schon komplett ausgebucht waren, habe ich abgewartet und mich zur Sicherheit auch in Nienburg beworben und nehme sogar die weite Fahrt von 700 Kilometern in Kauf. Jetzt ist alles auf dem Weg. Als aktiver Sportschütze ist mir der Umgang mit Waffen vertraut. Doch im Ernstfall müsste ich nicht auf eine Pappscheibe schießen, sondern auf einen Menschen. Der Gedanke ist abstrakt, und ich weiß nicht, wie ich in dieser Situation reagieren würde. Doch wenn es um den Schutz meiner Familie und mich geht, würde ich es tun.“
Stefan B. Sepsi, 49, Diplom-Wirtschaftsinformatiker aus Nußloch, ledig:
„Ich wollte eigentlich schon immer zur Bundeswehr, doch im Dezember 1994 wurde ich leider ausgemustert. Verschiedene Faktoren haben mich in den vergangenen Jahren wieder mit dem Thema Bundeswehr in Berührung gebracht. So hat ein Bekannter als Reservist an Übungen teilgenommen und mir davon erzählt. Von ihm erfuhr ich auch, dass Ungedienten noch eine Chance eingeräumt wurde, der Truppe beizutreten.
Dann trat der Krieg in der Ukraine 2022 sehr dicht an mich heran. Nicht nur durch Radio- oder Fernsehnachrichten, sondern auch durch Augenzeugenberichte: Mein Bekannter hatte im Urlaub mehrere Ukrainer kennengelernt, zu denen er auch nach Kriegsausbruch weiter Kontakt hielt. So erfuhr ich über ihn praktisch aus erster Hand, welche Ängste die Menschen ausstehen mussten, welche Not sie litten. Das hat mich sehr betroffen gemacht, zumal dies alles bei uns „nebenan“ geschah. Deshalb habe ich mich letztes Jahr in Stuttgart als Reservist beworben, bin als dienstfähig angenommen worden und werde in diesem Jahr meine Ausbildung antreten.
Die neue Sicherheitslage in Europa hat mit ihrer Ungewissheit auch die Menschen fundamental verändert: Aus meinem Abitur-Jahrgang sind nur drei Mitschüler zur Bundeswehr gegangen, fast der ganze Rest hat Zivildienst gemacht. Als wir uns jetzt wiedertrafen, war alles anders. Fast alle haben mir auf die Schulter geklopft und gesagt: „Großartig, dass du das machst!“
Ich habe mich als aktiver Sozialdemokrat immer als Menschen der politischen Mitte begriffen. Es ist mir wichtig, dass die Bundeswehr in der politischen Mitte stark ist, damit die Ränder nicht zu sehr nach links oder rechts ausfransen.“