Neue, kollektive Wohnprojekte: Wir kaufen uns ein Haus

Eigentum statt Miete: Zum Dachverband Miethäuser Syndikat (MHS) gehören zahlreiche Hausprojekte. Foto: Adobe Stock / Ralf Geithe (Symbolbild) Eigentum statt Miete: Zum Dachverband Miethäuser Syndikat (MHS) gehören zahlreiche Hausprojekte. Foto: Adobe Stock / Ralf Geithe (Symbolbild)

Steigende Mieten, unerschwingliche Kaufpreise für Immobilien: Projekte für gemeinschaftliches Wohnen wollen einen Weg aus der Misere weisen. Sie reichen von kleinen Hausgemeinschaften bis zu großen Wohnprojekten. Ortsbesuch bei einer Initiative.

Die Frühlingssonne scheint auf den Wilhelmsplatz in Heidelberg. Menschen rücken auf Bierbänken zusammen, am Rand eine mobile Kaffeebar und ein paar Imbisswägen. Ein Gitarrist spielt Lieder vom Buena Vista Social Club. Auch Christine Prinz, Birgit Beermann und Joachim Lyschik mischen in Winterjacken auf dem kleinen Kulturmarkt mit. An ihrem Stand stapeln sich Flyer, mit denen sie für die Unterstützung ihres Projekts werben. Seit zwei Jahren sind sie jeden Samstag hier.

Der Plan klingt verwegen: 35 Menschen wollen ein 3000 Quadratmeter großes denkmalgeschütztes Bürogebäude auf dem Gelände der früheren US-Kaserne erwerben. Kaufpreis und Renovierungskosten summieren sich auf fast zehn Millionen Euro. Nennenswertes Eigenkapital ist nicht vorhanden und auch nicht erwünscht. „Wenn einer einen Klumpen von einer Million einbringt, etabliert sich gleich so was wie Macht“, sagt Joachim Lyschik. Der Rentner hat im Berufsleben für einen amerikanischen Konzern Kraftwerke verkauft.

Teure Mieten: Dachverband Miethäuser Sydikat sucht alternative Konzepte

Noch klafft eine Finanzierungslücke, um sich an einen Bankkredit heranzuwagen. Die Gruppe visiert eine Eigenkapitalquote von 25 Prozent an. Dafür sucht sie Förderer, die Direktkredite zu niedrigen Zinsen zwischen wahlweise 0,02 und zwei Prozent gewähren – eine Art Crowdfunding auf Darlehensbasis.

Mittlerweile hat Parasol 1,2 Millionen Euro eingesammelt, 2,3 Millionen sollen es werden. „Bis zum Sommer müssten wir das Geld eigentlich zusammen haben“, da ist Birgit Beermann optimistisch. „Zwei Drittel der Direktkredite stammen aus unserem persönlichen Umfeld“, fügt sie hinzu. Ein reicher Onkel, eine wohlmeinende Nachbarin, spendable Freunde. Der Mindestbetrag für einen Kredit liegt bei 250 Euro. Das eingezahlte Geld bleibt auf einem Treuhandkonto, bis die Sanierung beginnt.

Sie wollen anders zusammenleben als in den klassischen Reihen- oder Mietshäusern, nämlich basisdemokratisch und solidarisch. Foto: Parasol GmbH
Sie wollen anders zusammenleben als in den klassischen Reihen- oder Mietshäusern, nämlich basisdemokratisch und solidarisch. Foto: Parasol GmbH

Nur etwa einen halben Kilometer Luftlinie vom Stand entfernt, in der Heidelberger Südstadt, befindet sich das Wunschobjekt. Die Immobilie ist eines von mehreren ehemaligen Militärgebäuden rund um den früheren Paradeplatz. Die weitläufige Anlage entstand während der NS-Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen die Amerikaner dort ein, bis sie 2013 ihren Standort Heidelberg aufgaben. Seit einigen Jahren entwickelt sich auf der Konversionsfläche ein neues Viertel. „Bisher ist das ein relativ totes Quartier“, findet Joachim Lyschik. Er glaubt, dass der Ort durch das Hausprojekt belebt wird. Die Hälfte der Fläche ist für Gewerbe reserviert, eine Auflage der Stadt. Sie verlangt, dass Parasol das gemeinschaftliche Zusammenleben fördert und durch gewerbliche Nutzungen ergänzt.

Einige Tage später lotst die Parasol-Co-Geschäftsführerin Christine Prinz über das Gelände. Durch eine Lücke im Bauzaun geht es in den Keller. Die Rentnerin schwenkt eine Baulampe in die Dunkelheit. Überall hängen Kabel herunter. „Die mit Kupfer sind schon alle gestohlen.“ Ein repräsentatives Treppenhaus mit weiß lackiertem Geländer führt in die oberen Etagen.

Die Vorbesitzer haben Spuren hinterlassen. An die Wehrmacht erinnern die in die Wand gehauenen Waffenständer, an die Amerikaner abhörsichere Rohre aus Aluminium. Imposant sind die rund 30 Zentimeter dicken Wände. „Mit abgerundeten Ecken, wie es typisch für den Bauhausstil war“, sagt Christine Prinz und streicht mit der Hand darüber. Ausgerechnet bei den Künstlern, die das Regime verfolgte, hatten die Nazi-Architekten ihre Ideen geklaut.

Parasol-Gruppe in Heidelberg setzt auf Solidarität

Jetzt, fast 90 Jahren später, soll eine neue Ära beginnen. Die bunte Parasol-Gruppe will hier anders zusammenleben als in den klassischen Reihen- oder Mietshäusern, nämlich basisdemokratisch und solidarisch. Jeder Mieter ist, solange er hier wohnt, auch Besitzer und kann nicht wegen Eigenbedarf aus seinem Zuhause geklagt werden.

Denn alle Projektbeteiligten sind Mitglieder des Vereins „Wohnso“, der wiederum einer der beiden Gesellschafter der Parasol GmbH ist. Beim anderen handelt es sich um den Dachverband für diese Form von gemeinschaftlichen Hausprojekten, das Mietshäuser Syndikat. Es würde eingreifen, wenn die Immobilie wieder privatisiert werden sollte. Die Hausgemeinschaft verwaltet sich selbst, Gartenarbeit, Buchhaltung, Steuerangelegenheiten und andere Aufgaben werden unter den Bewohnern aufgeteilt. „Wir wollen hierarchiefrei und selbstbestimmt zusammenleben“, sagt Joachim Lyschik.

Organisiert ist das Ganze in sogenannten Clustern – Wohngemeinschaften, in denen sich fünf bis zehn Personen eine Küche teilen. Es gibt aber auch kleinere Einheiten mit eigener Pantry-Küche für Zweier-WGs. Die ökologischen Vorzüge lägen auf der Hand, sagt der 52-jährige Mitstreiter Matthias Dautel, Grundschullehrer von Beruf. „Wir haben einen viel geringeren Quadratmeterverbrauch pro Person als in den klassischen Wohnformen. Gerade in Zeiten wie diesen sollte man seinen persönlichen Wohnraum so klein wie möglich halten.“

Dass ein solches Modell den Praxistest bestehen kann, zeigt der Kesselhof im Stuttgarter Stadtteil Botnang. 2017 haben Thomas Becker, seine Frau und ihre Mitstreiter die Immobilie gekauft. Inzwischen wohnen 15 Erwachsene und drei Kinder in den zweieinhalb Häusern, die früher eine Dampfwäscherei beherbergten. „Wir sind wie eine Groß-WG, jeder von uns hat nur ein Zimmer, auf jedem Stockwerk gibt es eine Toilette und ein Bad und in jedem Haus eine Küche. Das heißt, ich kann nicht tagelang allen aus dem Weg gehen“, sagt Thomas Becker. Das sei viel Gemeinsinn und Offenheit gefragt.

„Wir sind 15 Leute mit 15 verschiedenen Sichtweisen. Manchmal passt es nicht, dann müssen Dinge geklärt werden. Da sind wir alle geprägt durch unsere Sozialisation – und keine Helden“, sagt er. Einmal die Woche wird im Plenum alles ausdiskutiert, vom Putzplan bis zum Essenskostenmodell, bei dem jeder je nach Gehalt unterschiedlich viel Geld in die Haushaltskasse einzahlt.

Die Miete bewegt sich mit 8,50 bis 9,19 Euro pro Quadratmeter deutlich unter dem Stuttgarter Mietspiegel. Und auch die Nebenkosten liegen bei moderaten 100 Euro. Zum einen ist das der energetischen Gebäudesanierung zu verdanken. Aber auch der Tatsache, dass sich die Gruppe alles teilt: den Internetanschluss, die Grundgebühr für den Strom, die Mülltonne und vieles mehr.

In Konstanz existiert schon seit 17 Jahren ein Hausprojekt nach dem Konzept des Mietshäuser Syndikats. Auf den 780 Quadratmetern der Paradies Wohn-GmbH leben elf Frauen und vier Mädchen. Anders als bei den Hausprojekten in Heidelberg und Stuttgart haben alle ihre eigene Wohnung mit Bad und Küchenzeile. Gegründet wurde das „Paradies“ an der Schweizer Grenze von acht Frauen. Sie wollten gemeinsam alt werden.

Davon können die Parasol-Aktiven in Heidelberg bisher nur träumen. Ihr Vorhaben rangiert von der Größe her in einer anderen Liga. Es soll nicht nur relativ günstigen Wohnraum bieten, geplant ist ein Quadratmeterpreis von zwölf bis 13 Euro. Das Haus soll fast wie eine Stadt in der Stadt sein mit einer offenen Werkstatt zum Nähen, Schweißen, Schmieden, einer Lebensmittelkooperative, einem Non-Profit-Café und einem arabischen Restaurant. Wird dort der geschuppte Speisepilz „Parasol“ serviert? Der Projektname, erklärt Joachim Lyschik, beziehe sich auf etwas anderes. Es ist die Abkürzung für „Paradeplatz solidarisch“.

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