Dürren, Waldbrände, Rekordtemperaturen: Der Sommer scheint im Jahr 2022 seine Unschuld verloren zu haben. Was macht das mit der Psyche der Menschen? Ein Interview.
Die Psychologin Lea Dohm hat im Jahr 2019 mit ihrer Kollegin Mareike Schulze die Initiative „Psychologists for Future“ gegründet, die die „Fridays for Future“-Bewegung unterstützt. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt sie, wie man mit Klima-Angst umgehen kann, warum viele Menschen beim Thema Ernährung emotional reagieren und welche psychologischen Tricks einem helfen, umweltbewusster zu leben.
Warum braucht es in Ihren Augen eine Bewegung wie Psychologists for Future?
Wir glauben, dass ein psychologischer Blick auf die Klimakrise wichtig ist, weil die Erderwärmung menschengemacht ist und der Mensch ihr noch entgegenwirken kann und gleichzeitig einen bestmöglichen Umgang damit finden muss. Daran schließen sich viele psychologische Fragen an. Als Psychologists für Future sind wir in verschiedenen Bereichen tätig: Wir bieten Informationen, was gerade passiert, und helfen, Frust und negative Gefühle, die bei vielen gerade entstehen, als normal einzustufen und Handlungsangebote für ihre Bewältigung zu machen. Gleichzeitig beraten wir auch Wissenschaftler bei deren Kommunikation und halten Kontakt zu anderen Klima-Gruppen.
Inwiefern ist die Klimakrise denn ein psychologisches Problem, sollte nicht in erster Linie die Politik dafür Lösungen finden?
Ja, es ist natürlich ganz wichtig, dass wir nicht falsch psychologisieren und die wichtigen politischen Lösungen aus dem Blick verlieren. Die Klimakrise ist zwar nicht hauptsächlich ein psychologisches Problem, es gibt aber viele Schnittstellen, an denen wir als Psychologinnen und Psychologen nützlich sein können. Die Frage nach den Bedürfnissen, die einer Person wirklich wichtig sind, ist da zentral. Meistens sind das eben nicht die klimaschädlichen Klassiker Fliegen, Fleisch und Rasen, sondern eher gute und erfüllende Beziehungen zu Freunden, Zeit für die Familie und Zuversicht in die Zukunft.
Sich die Zuversicht in die Zukunft zu erhalten, ist angesichts der Dürreschäden und ökologischen Hiobs-Botschaften in diesem Sommer keine leichte Aufgabe. Macht das die oft beschworene Klimaangst nicht unmöglich?
Die Klimaangst ist ein bisschen der Popstar unter den Klimagefühlen. Wir wissen, dass in der Auseinandersetzung mit der Klimakrise alle möglichen Gefühle ausgelöst werden, vorwiegend die unangenehmen, zum Beispiel die Angst vor einer ökologischen und gesellschaftlichen Katastrophe. Hier ist es wichtig sich bewusst zu machen: Weil es sich um eine Realangst handelt, ist diese Reaktion nicht nur normal, sondern auch gesund. Denn Gefühle motivieren zum Handeln und das ist genau, was wir jetzt brauchen. Aus der Forschung ist bekannt, dass wir gesund bleiben, wenn wir unsere Gefühle wahrnehmen und daraus Handlungen ableiten.
Klima und Angst: Psychologin erklärt die Mechanismen
Trotzdem sinkt der Fleischkonsum, der wegen der Massentierhaltung als einer der wichtigen Treiber der Klimakrise gilt, in Deutschland nur langsam. Fast jeder kennt die Geschichten aus dem Bekanntenkreis, wie die Ernährungsdiskussion zuweilen wütende Reaktionen auslöst. Wie kommt das?
Bei dem ganzen Thema sind sehr viele Gefühle im Spiel, die sich überlagern. Es geht um Gewohnheiten und Identität. Wo ein wunder Punkt berührt wird, und die Menschen ahnen, dass sie sich ändern sollten, führt das in aller Regel zu Reaktanz. So beschreiben wir in der Motivationstheorie die natürliche Reaktion auf empfundene Einengung der Freiheitsspielräume. Plötzlich erachtet die Person die Freiheiten, die ihr genommen werden, als besonders wichtig, auch wenn sie vorher keine größere Rolle spielten.
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Hinzu kommt: Wenn Handeln und Denken auseinanderklaffen, kann das zu kognitiver Dissonanz führen. Das ist ein unangenehmer Gefühlszustand, der entsteht, wenn ein Mensch unvereinbare Kognitionen gleichzeitig hat. Um diesen unliebsamen Zustand zu verhindern, ist es ein Weg, Erkenntnisse zur Klimakrise oder zum Tierwohl zu leugnen oder zumindest relativieren. Das ist für viele Menschen einfacher, als auf Fleisch zu verzichten. In der Folge werden zum Beispiel auch Quellen und Erkenntnisse, die von 99 Prozent der Fachleute getragen werden, infrage gestellt, um eigenes Handeln nicht erforderlich erscheinen zu lassen. Das ist eine Strategie der Verdrängung.
Welche Verdrängungsstrategien gibt es noch?
Eine Studie des Umweltökonomen William Lamb hat vier grundlegende Argumente herausgearbeitet, die immer wieder genannt werden, um unmittelbares Handeln als unnötig darzustellen. Erstens ist das die Kapitulation, also die irrige Vorstellung, dass es eh zu spät ist. Ist es nicht. Wir können gerade jetzt noch sehr viel retten. Zweitens gibt es das Umlenken von Verantwortung, damit ist die Forderung gemeint, dass andere Länder wie China doch erst mal richtig mit Klimamaßnahmen anfangen sollten. Tun sie übrigens bereits, oft sogar deutlich ambitionierter als wir. Drittens ist das Propagieren sogenannter nicht-transformativer Maßnahmen verbreitet. Das ist die Annahme, dass es auch ohne grundlegende Veränderungen funktionieren kann. Das ist leider ein Irrglaube. Und viertens lässt sich auch oft beobachten, negative Folgen der Klimamaßnahmen betont werden, dass sie also sozial ungerecht seien und den Wohlstand gefährden würden. Dabei werden die viel drastischeren negativen Folgen des „Weiter-So“s unterschlagen.
Aber ist da nicht was dran? Wenn Energiekosten und Treibstoffpreise künftig nicht nur wegen des Ukraine-Kriegs, sondern auch aus Klima-Gründen hoch bleiben, trifft es doch zuerst die Menschen mit geringerem Einkommen?
Absolut, die Frage, wie wir hier gerade für Menschen mit geringerem Einkommen eine Entlastung schaffen können, muss unbedingt mitgedacht werden. Der Punkt ist, dass der reine Verweis auf dieses Problem uns nicht vom Klimaschutz abhalten darf, denn die Konsequenzen, wenn wir das verschleppen, würden noch viel schlimmer – gerade wieder für Bevölkerungsgruppen, die heute schon in vielfacher Hinsicht benachteiligt sind.
Ich finde es hochverständlich, dass all diese Fragen Stress machen können und wir Menschen sie lieber beiseite schieben und uns erfreulicheren Dingen widmen möchten. Aber es nützt ja nichts. Dieses Problem, diese mächtige planetare Diagnose liegt vor unseren Füßen. Wir wissen aus der Medizin, dass es in der Regel wenig Sinn ergibt, in solchen Momenten die bittere Wahrheit beiseite zu schieben, sondern dass wir lieber zeitnah mit der nötigen Therapie beginnen.
Gibt es einen psychologischen Trick, wie man sich selbst zu einem ambitionierteren Klimaschutz-Verhalten motivieren kann?
Zunächst einmal hilft es, nicht ständig den Weltuntergang zu beschwören. Ich schlage vor, auch zu schauen, welche positiven Lösungen es bereits gibt. Eine klimagerechte Gesellschaft verbessert das Leben der Menschen und bringt eine ganze Reihe von „Co-Benefits“ mit sich. Eine sauberere Luft und weniger Lärmbelästigung in den Städten beugt vielen Zivilisationskrankheiten vor, zum Beispiel Herz-Kreislauf- oder Lungen-Erkrankungen. Positiv auf unsere Gesundheit wirkt sich natürlich eine Ernährung mit weniger Fleisch aus, sie vermeidet Übergewicht, Bluthochdruck und andere Leiden. Eine Entschleunigung unseres Alltags würde die Lebensqualität ebenfalls steigern. Zudem würden wir uns gegenüber den Menschen im globalen Süden weniger schuldig fühlen, denn Industrieländer wie Deutschland sind nunmal für den größten CO2-Ausstoß verantwortlich, der bereits heute in anderen Erdteilen zu existenziellen Problemen führt. Wir würden also wertekonformer leben, was die Menschen in aller Regel zufriedener macht. Hier ist in der Kommunikation noch viel Luft nach oben: Es gilt noch viel mehr als bisher attraktive und machbare Wege aufzuzeigen, von denen wir tatsächlich auch sehr viele schon kennen!
Das klingt alles sehr positiv, fast schon einfach. Gleichzeitig radikalisiert sich die Klima-Bewegung allerdings. Die Aktivisten der Gruppe „Die letzte Generation“ hat für den Herbst eine neue Phase der Proteste angekündigt.
Wenn soziale Bewegungen zu wenig gehört werden und an der Umsetzung scheitern, kann das zu einer Radikalisierung der Proteste führen. In diesem Fall ist das ein eindeutiges Zeichen, dass politisch zu wenig getan wird. Ich persönlich halte Protestformen wie Hungerstreiks für nicht gut, fände es aber hilfreich, nicht nur auf die Form des Protests, sondern auch auf die Forderungen zu schauen, etwa die schnelle Abkehr von fossilen Brennstoffen. Wir als Psychologists for Future wünschen uns, dass wir in einen Veränderungsprozess kommen wodurch solche radikalen Protestformen gar nicht mehr notwendig sind. INTERVIEW: LEON SCHERFIG