ENERGIEKRISE

Ofenbauer Bischof: Der Überbringer der Wärme

Klaus Bischof Doris Ofenbauer Hamburg Altona Klaus und Doris Bischof führen das gemeinsame Geschäft seit Jahrzehnten. Foto: Reporterdesk

Klaus Bischof arbeitet seit 60 Jahren als Ofenbauer in Hamburg. Seine Geschichte spiegelt die Geschichte der Heizkultur in der Bundesrepublik wider. Heute ist sein Können gefragt wie nie.

Die erste Geschichte der Wärme im Leben des Klaus Bischof handelt von der Hitze, die den Tod bringt. Mit vier Jahren erlebt er 1943 den „Hamburger Feuersturm“. Er sieht, wie brennende Häuser zusammenstürzen, Menschen sterben. Mit seiner Mutter und seiner Schwester schafft er es nicht mehr aus dem Haus an der Hamburger Ackermannstraße, sie werden im Keller verschüttet. Erst nach zwei Tagen, als Helfer sie freischaufeln, sehen sie zum ersten Mal wieder das Tageslicht. Man legt ihnen ein nasses Tuch auf den Kopf und setzt sie in einen Zug, der sie aus der brennenden Stadt heraus in Sicherheit bringen soll. „Das steckt man nie ganz weg“, sagt Bischof heute, „aber ich gehe dagegen an.“ Das ist die erste, prägende Geschichte der Wärme. Die zweite dauert nun schon über sechzig Jahre und ist das genaue Gegenteil: Es geht um die Wärme, die Leben bedeutet. 

Klaus Bischof ist einer der letzten Ofenbauer Hamburgs, sein Weg spiegelt die Geschichte der Heizkultur in Deutschland wider. Schüttelt man ihm die Hände, packen die fest zu. Sie sind von Jahren harter Arbeit geformt. Als man Steine mit dem Hammer behauen hat, Kacheln passgenau schnitt, verputzte, glattstrich, sich mit Lehm einsaute und die „Kluft“, die blaue Arbeitsmontur der Ofenbauer, mit Resten der Schamottesteine übersät war. Am Ende, nach zwei Wochen Arbeit, lief der Ofen. Und es wurde warm. 

1954 beginnt Bischof mit 16 Jahren seine Ausbildung in einem kleinen Betrieb in Hamburg-Altona. Autos sind unerschwinglich, einen Führerschein kann er erst mit 21 Jahren machen. Neun Jahre nach Kriegsende ist die Stadt bevölkert von Fußgängern und Fahrradfahrern. Bischofs Transportmittel für Lehm und Schamottesteine ist eine Holzkarre, die er von Hand schieben muss – die Elbchaussee entlang bis zu den Villenbesitzern in Blankenese, die sich einen Ofen bauen lassen wollen. Täglich fast zwölf Kilometer hin und wieder zurück. „Wir haben drei Stunden abwechselnd geschoben und sind um neun an die Arbeit gegangen“, sagt Bischof. 

Ofenbauer in Deutschland: Termine schwer zu bekommen

Seine Öfen bringen den Sturmflutopfern Wärme

Kachelöfen waren in den Fünfzigern besonders gefragt, weil es damals noch keine großen Heizungen für die Wohnungen gab. „Die Öfen speicherten die Wärme am besten“, sagt Klaus Bischof. „Abends wurden drei Briketts hineingelegt und am nächsten Tag war die Glut noch warm, es kam eine neue Fuhre Kohle darauf und alles begann von vorn.“

Es ist eine raue Zeit: Als Klaus Bischof sich über seinen Gesellen lustig macht, der gern anderen das Schieben der Karre überlässt, schmeißt der ihn bei nächster Gelegenheit in ein Fass mit Lehm. Bischof geht nach Hause, zieht sich um und tritt sofort wieder zur Arbeit an. „Da wurde kein Gedöns gemacht“, sagt er, „Hamburg war wie eine große Familie und überall, wo es nötig war, wurde mitangepackt.“

Diesen Gemeinschaftssinn lernt der frisch ausgelernte Ofenbauer bei der Hamburger Sturmflut kennen. Tausende sitzen ohne Strom und Nahrung in ihren Wohnungen. Und die sind in den ersten Tagen nach dem 17. Februar 1962 verdammt kalt. „Es musste schnell gehen, keiner hat sich um Genehmigungen geschert“, sagt Bischof. Ofen aufstellen, Fensterscheibe raus, Blech rein, Ofenrohr raus, anheizen, fertig!“ Flutopfer sagen zu ihm voller Dankbarkeit: „Auch wenn alles andere ausfällt, haben wir jetzt einen Raum, in dem es warm ist.“ Dieser Satz wird Klaus Bischof wie ein Mantra begleiten. Er ist der Überbringer der Wärme.

Die Ölkrise macht ihn zum Gewinner

In den Sechzigerjahren, auf einem Ball in Finkenwerder, begegnet er Doris. Das Mädchen aus Oschersleben hat viele Tanzpartner, aber der kleine Klaus mit den schönen großen Händen findet auf dem Parkett die richtigen Worte. Ihre Eltern hatten sie stets vor der anrüchigen Reeperbahn gewarnt und der junge Mann stellt sogleich klar: „Ich mag die Reeperbahn auch nicht.“ Bis heute sind die beiden ein Ehepaar und führen die Geschäfte gemeinsam.  

1966 macht sich Klaus Bischof selbstständig. Ehefrau Doris, gelernte Bürokauffrau, hat sich in Abendkursen Buchhaltung beigepaukt und soll das Büro der neuen Betriebsräume in Altona führen. Der Start ist holprig, für das Grundstück und den Namen des bislang dort ansässigen Ofenbaubetriebes müssen sie 250.000 Deutsche Mark zahlen. Sie zahlen das Geld in Raten von 1.000 Mark im Monat ab. 

Klaus Bischof an der Kasse in seinem Laden
Ofenbauer Klaus Bischof kommt erst abends in den Laden zurück. Tagsüber ist er unterwegs. Foto: Reporterdesk

Anfang der Siebzigerjahre beginnt der Siegeszug der E-Heizung. Denn die Kachelöfen, die sich bis dahin in vielen Haushalten finden, werden mit Briketts beheizt. Dadurch sind sie zwar autark, machen aber viel Arbeit. „Keiner hatte mehr Lust, mit dem Eimer Kohle aus dem Keller oder vom Dachboden zum Ofen zu schleppen und zu bevorraten“, sagt Klaus Bischof. Viele steigen nun auch auf Gas um. „Das war billig und bequem, genauso wie Fernwärme – alles ließ sich gemütlich aus dem Wohnzimmer regeln.“ Der Ofenbauer Bischof hält wenig von der neuen Entwicklung. Er liebt die alten Öfen, weil sie ihn ein Leben lang begleitet haben.  

Doch Geschäft ist Geschäft. Für den Großauftrag einer Wohnungsbaugesellschaft muss er 400 Kachelöfen abschlagen, ihre Reste für die Müllabfuhr zum Straßenrand schaffen. Als er die zerschlagenen Riesen am Straßenrand sieht, an denen die neuen Heizungstechniker vorbeigehen, sagt er zu sich: „Wartet nur ab, ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.“ 

Die goldenen Siebziger

Er soll recht behalten. Ab 1973 macht die Ölkrise die Firma Bischof zum Gewinner. Der Preis für Rohöl vervierfacht sich, die Energiepreise, auch Gas, explodieren. Das Vertrauen der Verbraucher in die bequeme und vormals preiswerte neue Heiztechnik ist dahin; man erinnert sich reumütig an die Unabhängigkeitserklärung der alten Öfen. Und damit an den alten Ofensetzer. Bei den Bischofs werden plötzlich wieder so viele Kachelöfen bestellt, dass sie elf Mitarbeiter einstellen müssen. „Wir haben ausgeliefert wie Weltmeister“, sagt Klaus Bischof, „auch beim Sonntagsfahrverbot sauste unser Lastwagen mit einer Sondergenehmigung randvoll mit Öfen über die Straßen.“ Über 15 Jahre dauert diese goldene Zeit, doch schon 1990 gerät die Firma erneut in Schieflage, als ein Großauftrag platzt.

Jetzt muss neu gedacht werden. „Es war falsch, nur auf eine Technik zu setzen“, sagt Doris Bischof. Sie holen einen Partner dazu, der sich mit Sanitärtechnik und Fliesenarbeiten auskennt. Fortan bietet die Firma Bischof & Spahl nicht nur Öfen aller Art an, man kann sich bei ihr auch ein Badezimmer bauen oder den Fußboden fliesen lassen. Mit Beginn des Jahres 2000 sehen die Bilanzen deutlich besser aus. 

Heute ist der 83-jährige Klaus Bischof wieder der Mann der Stunde – die Energiekrise macht’s. Und damit die plötzlich wieder so wertvolle Unabhängigkeitserklärung jedes mit Holz oder Kohle betriebenen Ofens. Die Terminbücher sind voll, doch die Stimmung bei den Menschen ist schlecht. Das spürt auch der Ofenbauer. „Die Leute benehmen sich so, als ob es wieder Krieg gibt“, sagt Klaus Bischof. „Viele sind total verzweifelt. Wir kommen gar nicht dagegen an, alte Kachelöfen wieder in Gang zu bringen oder neue zu liefern.“ Gerade baut er einen Kamin um. „Meine Kunden wollen ihn nutzen, wenn es mit den Gaspreisen noch schlimmer wird. Es ist wie damals bei der Sturmflut – mit einem Ofen kriegen sie, unabhängig von Strom oder Gas, wenigstens einen Raum warm. Das tröstet, denn die Menschen haben Angst. Das erlebe ich jetzt täglich.“

Klaus Bischof und Doris vor ihrem Geschäft
Das Geschäft in Altona ist Anlaufstellen für Kunden – und gleichzeitig Ausstellungsort für lokale Künstler. Foto: Reporterdesk

Seine alten Kachelöfen wird Klaus Bischof mit Sicherheit nie wieder abschlagen müssen. Sie waren nie so wertvoll und gefragt wie heute. Aber auch neue Ideen erfrischen das Betriebsleben: Statt im Internet mit Fotogalerien von Heizkörpern zu werben, lässt Bischof junge Künstler in den alten Geschäftsräumen ausstellen, er drapiert Spielzeugautos und alte Bügeleisen im Schaufenster. Manchmal kommen Kinder und drücken sich ihre Nasen an der Scheibe platt, weil so ein Geschäft heute Seltenheitswert hat.

Einen Besuch, den er Jahrzehnte vor sich herschob, hat Klaus Bischof vor Kurzem erledigt. Er ist in die Hamburger Ackermannstraße gefahren. Es brauchte eine Weile auf dem Parkplatz, bis sein Atem wieder ruhig ging. Dann ist er ausgestiegen und hat am Neubau, der heute den Platz seines Elternhauses einnimmt, geklingelt. Man öffnete ihm. Als die anderen Bewohner den alten Mann in seiner Arbeitsmontur mit schweren Schritten langsam in den vierten Stock steigen sahen, haben sie freundlich gefragt, ob ihm etwas fehle. „Da habe ich angefangen zu weinen, weil alles wieder hochkam“, sagt Bischof. 

Noch heute, mit 83 Jahren, arbeitet Klaus Bischof von früh bis spät. Morgens um halb sechs klingelt der Wecker, anderthalb Stunden später belädt er in der Werkstatt mit einem Kollegen seinen Wagen, anschließend geht es zu den Kunden. Die ganz schweren Arbeiten überlässt er jetzt seinem Kollegen, alle anderen Entscheidungen trifft er. Der Tag endet um 21 Uhr. Rente? Für ihn kein Thema. „Das würde bedeuten, einfach nur auf der Bank sitzen und nichts tun“, sagt Frau Bischof. „Da wären wir nach zwei Jahren tot.“  VOLKER TACKMANN

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