Um die geheimen Männerbünde der Bruderschaft ranken sich Mythen, Legenden und Verschwörungstheorien: Die Freimaurer gelten als verschwiegene Organisation. Doch im Jahr 2021 wandeln sie sich: Um Nachwuchs zu werben, öffnen sie sich und geben Teile ihres Geheimnisses preis. Wie lässt sich das mit der jahrhundertealten Tradition vereinbaren?
Berlin. Roland Hölz drückt auf einen Schalter an der Wand des Tempels: Die elektrischen Rollladen an den drei hohen Altbaufenstern surren und schließen den Raum allmählich von der Außenwelt ab. Dann spendet nur noch die Deckenbeleuchtung etwas Licht. Nun ist es ganz still im Saal und die Worte des Freimaurers Hölz klingen gedämpft als wären sie in einen Umhang aus dickem Stoff gehüllt.
„Hier treffen wir uns einmal in der Woche zu unserem Ritual, das wir als Tempelarbeit bezeichnen“, sagt Hölz und deutet in den menschenleeren Raum. Der Aufbau folgt einer klaren Komposition: An einem Ende sitzt leicht erhöht der sogenannte Meister des Stuhls, der Vorsitzende der Loge, ihm gegenüber die zwei Aufseher. Auf den Bänken links und rechts symmetrisch angeordnet lassen sich die weiteren Logen-Brüder nieder. Im Zentrum des Tempels stehen drei Säulen. Sie symbolisieren Weisheit, Schönheit und Stärke. Hölz empfängt an diesem Vormittag im Ordenshaus der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland im Berliner Villen-Viertel Dahlem.
„Die Rituale dauern anderthalb bis zwei Stunden und halten sich an eine alte Überlieferung“, erklärt der Freimaurer. Zur Zeremonie gehört auch die traditionelle Bekleidung: Ein dunkler Anzug, eine Fliege, weiße Handschuhe und ein Logen-Emblem, das den Erkenntnisgrad des Bruders ausweist. „Der Ablauf ist Wort für Wort in unseren Ritualbüchern festgeschrieben. Das möchte ich aber natürlich ungern vorwegnehmen, zumal es beim Ritual immer um ein sehr persönliches Erlebnis geht, das jeder anders wahrnimmt.“ Darin liege im Grunde auch das Geheimnis der Freimaurerei.
Freimaurer: Mitgliedsbeitrag um die 400 Euro im Jahr
Um die geheimen Männerbünde der Bruderschaft ranken sich Mythen, Legenden und Verschwörungstheorien. Mehr als drei Jahrhunderte nach ihrer Gründung im Jahr 1717 in London setzt die verschwiegene Bruderschaft nun aber auf eine neue Strategie: Sie will sich behutsam öffnen, um Märchen und Fake News aus der Welt zu räumen, und gleichzeitig ihr Geheimnis wahren.
Dafür steht auch Roland Hölz, der nicht nur seit 20 Jahren Freimaurer ist, sondern auch zum Team der Öffentlichkeitsarbeit gehört, das in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Auch wenn sich die Abläufe in den rund 550 Logen in Deutschland in Feinheiten unterscheiden, folgen die Treffen der 25 bis 45 Brüder einer Loge einer Tradition – ob in Hamburg, Nürnberg oder Stuttgart. Der Dachverband Vereinigte Großlogen von Deutschland zählt rund 16.700 Mitglieder. Fünf Großlogen, in denen ausschließlich Männer aufgenommen werden. Frauen haben in diese Welt tatsächlich keinen Zugang – sie sind in einer eigenen Loge organisiert. Und die Zahl der Freimaurer stagniert seit Jahren, Kopfzerbrechen bereitet einigen der Nachwuchs.
Der Berliner Freimaurer Hölz wuchs buchstäblich in die Organisation hinein: Sein Vater war bereits Logenbruder und nahm ihn, als er volljährig war, mit auf eine Weihnachtsfeier. „Schon damals fiel mir auf: Das ist aber eine interessante Runde mit sehr unterschiedlichen Menschen“, erinnert sich der 48-Jährige. Es sei ein Mythos, dass es eine tiefe Verwurzelung der Bruderschaft in die Politik und die Machtzentralen der Welt gäbe. Die Freimaurerei sei keine reine Eliten-Veranstaltung – das Gegenteil sei der Fall: „Die Bandbreite reicht vom Taxifahrer bis zum Hochschulprofessor oder Manager“, sagt Hölz. Das liege auch an den niedrigen Aufnahmehürden: Wichtig sind die Volljährigkeit des Anwärters, ein Bekenntnis zum Rechtsstaat sowie ein Mitgliedbeitrag von rund 400 Euro im Jahr. Allerdings muss, wer dazustößt, „ein freier Mann von gutem Ruf sein“, sagt Hölz. Das soll verhindern, dass Brüder Konflikte in die Logen hineintragen.
„Im Kern geht es darum, dass ehrenwerte Leute ihre Gedanken zu verschiedenen Themen austauschen und zu neuen Sichtweisen kommen. Am Ende steht das Ziel, ein besserer Mensch zu werden und sich selbst zu entfalten“, erklärt er. Bei der Tempelarbeit entwickelten sich Dialoge zwischen dem Meister vom Stuhl und anderen Rednern, erörtert werden die jahrhundertalten Symbole aus der Maurerei wie Winkel und Zirkel. „Aus dieser Inszenierung, die wir auch als Königliche Kunst betrachten, zieht jeder seine individuellen Lehren. Das ist sehr erlebnisorientiert. Deshalb kann man das Geheimnis auch nicht lüften: Mehr als 16.700 Freimaurer bedeutet mehr als 16.700 Wahrnehmungen“, sagt Hölz.
Wer die frühen Kapitel der Geschichte der Freimaurerei aufschlägt, versteht, wie sie zu ihrem geheimnisumwobenen Ruf kam. Die Organisation hat ihren Ursprung in den freien Steinmetz-Bruderschaften des 18. Jahrhunderts in England, die nicht wie andere Handwerker an eine Zunft gebunden waren. Als Dombaumeister betrieben sie ihr Handwerk in verschiedenen Städten und genossen Privilegien wie die Reisefreiheit. Um ihr Berufsgeheimnis zu wahren, verwendeten sie bestimmte Passwörter und Codes. Die modernen Freimaurer greifen auf viele dieser Traditionen zurück: Die Loge, englisch „Lodge“, meint die Bauhütte, den historische Werkstattverband des Kathedralenbaus in Europa.
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Freimaurer verschreiben sich der Aufklärung
„Symbolisch wollen die Freimaurer bei ihren Ritualen am Tempel der Humanität bauen und letztlich an der eigenen Persönlichkeit arbeiten“, sagt Matthias Pöhlmann. Er ist Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und hat mehrere Bücher über die Freimaurer veröffentlicht. Ihre Werte orientierten sich an der Aufklärung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Humanität und Toleranz. Für diese stünden auch die typischen Symbole: Der Zirkel erinnert an den Kreis der Brüderlichkeit, das Winkelmaß mahnt ein humanitäres Verhalten an, die Setzwaage verbildlicht, dass sich die Freimaurer auf einer gleichen Ebene begegnen sollen.
Der Weltanschauungsfragen-Experte Pöhlmann beobachtet seit einigen Jahren einen Wandel der Organisation, sozusagen eine Demokratisierung der Freimaurer: Während ihnen früher Berühmtheiten wie Wolfgang Amadeus Mozart, Friedrich der Große, Theodor Roosevelt und John D. Rockefeller angehörten, wird heute auch der Bäckermeister aufgenommen. „Die Bruderschaft öffnet sich sicherlich auch, weil es heute anspruchsvoller geworden ist, neue Mitglieder zu werben“, sagt der Experte. Zur neuen Offenheit gehören: Websites mit Hintergrundinfos, mehr Öffentlichkeitsarbeit und zum Beispiel Teilnahme an Veranstaltungen wie dem Tag der Offenen Tür, zu dem in die Logenhäuser geladen wird.
„Besucher kann Initiation nacherleben“
Für die Hinwendung zur Welt steht auch das Freimaurer-Museum in Bayreuth. Gegründet wurde es vor 119 Jahren und hat sich von einer nicht frei zugänglichen Bibliothek mit Freimaurer-Schriften fast schon zu einem Erlebnisort entwickelt: Der Gast bekommt die Bedeutung der wichtigsten Freimaurer-Symbole erläutert, Bildschirme und Audiotexte liefern Hintergrundwissen, das Streben des Einzelnen nach Vervollkommnung wird erklärt. „Wir wollen vor allem Menschen, die sich noch nicht mit Freimaurerei beschäftigt haben, unsere Arbeit nahebringen“, erklärt Museumsvorstand Roland Hanke. „Der Besucher kann in drei Einzelkabinen das Gefühl einer Initiation nacherleben“, sagt Hanke.
Ob das nicht ein Geheimnis offenlegt, das für die Freimauerer existentiell ist? Der Museums-Vorstand winkt ab. „Nein, das ist auch eine Frage der Interpretation. Im Spätmittelhochdeutschen bedeutete das Wort „geheim“ noch so viel wie „vertraut“, abgeleitet vom gemeinsamen Heim.“ „Das heißt übersetzt: Wenn wir ein Geheimnis teilen, teilen wir auch eine sehr große Vertrautheit“, erklärt Hanke.
Welchen Weg die internationale Freimaurerei einschlägt, wird indes dieser Tage in Berlin diskutiert (17. bis 21. November). Das erste Mal ist die deutsche Hauptstadt der Austragungsort der Weltkonferenz der weltweiten Freimaurer-Logen. Unter dem Motto „Zukunft braucht Freimaurerei“ versammeln sich mehr als 300 Logen-Brüder aus 75 Ländern, um darüber zu sprechen, welchen Aufbruch die Bruderschaft braucht, um ihre Traditionen zu erhalten. LEON SCHERFIG