Am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen, wird auf die Situation von Betroffenen aufmerksam gemacht. Das Beispiel der Frauenhäuser zeigt: Der Schutz vor Gewalt für Frauen wird durch die aktuelle Gesetzeslage zur quälenden Ungewissheit.
Es gab frühe Warnzeichen in der Beziehung: erst Beleidigungen, später die Kontrolle. Als Nicola K. als Aushilfe in einem Restaurant arbeitete, um das Einkommen der Familie mit ihren zwei Kindern aufzubessern, verbot es der Ehemann. Sie würde die Familie vernachlässigen, um sich von anderen Männern anmachen zu lassen, hieß es. Er wollte nicht mehr, dass sie allein das Haus verließ. An ihrem Geburtstag eskalierte ein Streit: Ihr Mann schlug Nicola K. so heftig, dass ihr die Nase brach. Aus Angst und finanziellen Sorgen erduldete sie es. Erst als K.s Mann eines Abends vor Wut den dreijährigen Sohn aus dem Bett riss, ihn wieder zurückschleuderte und der Junge mit dem Kopf auf das Bettgestell schlug, entschied die 28-jährige K.: Sie muss raus, ins Frauenhaus.
Es ist eine von vielen Geschichten, von denen Nazan Kapan zu berichten weiß. Sie ist Leiterin des Mannheimer Frauenhauses und des Fraueninformationszentrums. In der Kommunalpolitik setzt sie sich als Mitglied des Gemeinderats in Mannheim für schutzsuchende Frauen ein. Und der Bedarf wächst. Fälle wie der von Nicola K. (der Name ist wie alle von Betroffenen im Text geändert) nehmen seit einigen Jahren deutlich zu. 2023 wurden in Baden-Württemberg laut Kriminalstatistik 16.430 Fälle von häuslicher Gewalt verzeichnet; 13.111 der Opfer waren Frauen. Damit stieg die Anzahl der Fälle im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent. Die Verurteilungen blieben im Gegensatz dazu niedrig. 2023 wurden 83 Personen, davon 77 Männer, nach dem Gewaltschutzgesetz verurteilt. In wie vielen Fällen es sich dabei um Partnerschaftsgewalt handelte, kann das Landesjustizministerium auf Anfrage nicht sagen, eine entsprechende Differenzierung finde in der Statistik nicht statt.
Nikola K.s Fall aber war eindeutig. Sie rief die Polizei, ihr Mann erhielt einen Platzverweis und sie zog noch am frühen Morgen mit ihren Kindern ins Mannheimer Frauenhaus. Die meisten Frauen hier teilen sich eine Wohnung, insgesamt gibt es 21 Plätze und zwölf Außenwohnungen. „Nicola lebte sich gut ein, ihren Kindern ging es auch besser, sie blühten richtig auf“, sagt Frauenhaus-Leiterin Kapan. Im Frauenhaus konnten sie sich sicher fühlen; die Adresse ist anonym. Nicola hatte Glück: Auch wenn die Einrichtung im vergangenen Jahr 16 Frauen und 21 Kinder aufnehmen konnte, waren die Anfragen mehr als 15-Mal so hoch: 245 Frauen und 226 Kinder musste das Frauenhaus abweisen.
Frauenhaus vor Ort: Plätze überwiegend das ganze Jahr belegt
Am Beispiel des Mannheimer Frauenhauses wird deutlich: Es fehlt an Schutzplätzen. Mit der Istanbul-Konvention wurde 2018 in Deutschland ein Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ratifiziert. Demnach bräuchte Baden-Württemberg gemessen an der Einwohnerzahl rund 3.800 Frauenhausplätze. Momentan sind es nur 876, die jährlich zwischen 80 und 85 Prozent ausgelastet sind. Laut des Paritätischen Wohlfahrtsverbands kommt das allerdings einer Vollbelegung gleich, da Mehrbettzimmer häufig nicht „platzgenau“ belegt werden können.
Wie stark Frauenhausplätze deutschlandweit belegt und vor allem überlastet sind, lässt sich tagesgenau auf der Website www.Frauenhaus-Suche.de der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser herausfinden. Auch die Frauenhäuser nutzen die Suche, um betroffene Frauen an andere Einrichtungen zu verweisen, wenn sie selbst keinen freien Platz anbieten können. So kam auch Nicola K. nach Mannheim, die eigentlich mit ihrem Mann und ihren Kindern in Konstanz gelebt hatte. Laut der bundesweiten Frauenhaus-Statistik des Vereins Frauenhauskoordinierung war die Anzahl der Frauen, die in ihrer Heimatstadt oder ihrem Landkreis einen Platz bekamen, im vergangenen Jahr weiter rückläufig. Immer mehr von ihnen mussten ihren Heimatort verlassen, um Schutz zu finden.
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Hinzu kommt, dass im vergangenen Jahr weniger Betroffene aufgenommen wurden als noch 2022: Die Anzahl sank von 6.444 auf 6.264. Grund dafür sind laut den Frauenhäusern die zunehmenden Schwierigkeiten der Betroffenen nach ihrem Aufenthalt eine geeignete Wohnung zu finden. Das führe zu längeren Aufenthalten und damit einer geringeren Fluktuation: Eine Verschärfung der ohnehin „bereits großen Lücken im Hilfesystem“, so der Bericht des Vereins Frauenhauskoordinierung.
Frauenhäuser: Kommunen drücken sich vor dem Ausbau
In einigen Regionen Baden-Württembergs sieht es besonders schlecht aus: Die sechs Landkreise Rhein-Neckar-Kreis, Main-Tauber-Kreis, Böblingen, Rottweil, Emmendingen und Breisgau-Hochschwarzwald verfügen noch immer über kein eigenes Frauen- und Kinderschutzhaus. Der Hintergrund: Laut kommunalem Selbstverwaltungsrecht sind die Landkreise in Baden-Württemberg nicht zur Eröffnung und Finanzierung von Frauenhäusern verpflichtet. „Die Kommunen verlassen sich zu sehr auf Großräume wie Mannheim, Stuttgart oder Karlsruhe“, sagt Katrin Lehmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Als Referentin für Frauen und Mädchen setzt sie sich seit sieben Jahren in ganz Baden-Württemberg für die Schaffung von Schutzplätzen und Beratungsstellen ein. Auf Interesse bei den Kommunen stößt das oftmals nicht. „Häufig stehen andere Probleme im Vordergrund. Ohne einen starken Willen vor Ort bewegt sich dort nichts.“
Gewalt gegen Frauen: Häufig müssen Betroffene Aufenthalt selbst zahlen
Um die Versorgungslücken zu schließen, müsste auch das Finanzierungssystem der Frauenhäuser dringend überholt werden, mahnen Fachleute. „Damit sich unser Haus überhaupt trägt, muss es im Jahr mindestens zu 75 Prozent ausgelastet sein“, erläutert Nazan Kapan. Für sie sei das der völlig falsche Ansatz: „Wir können uns gewissermaßen nur dadurch finanzieren, dass ausreichend gepeinigte Frauen unseren Schutz in Anspruch nehmen.“
Grund dafür ist, dass Frauenhäuser über Sozialleistungen der Bewohnerinnen finanziert werden. Die Einrichtungen bekommen ihr Geld über Tagessätze vom örtlichen Jobcenter oder Sozialamt. Viele Personen aber, darunter Geflüchtete, Studierende, Rentner*innen und Berufstätige, haben keinen Anspruch auf Bürgergeld oder Sozialhilfe und müssen zumindest die Miete im Frauenhaus aus eigener Tasche bezahlen. Das betraf im vergangenen Jahr laut Frauenhausstatistik des Vereins Frauenhauskoordinierung 14,5 Prozent der Frauen.
Der Tagessatz im Mannheimer Frauenhaus liegt für Selbstzahlerinnen bei unter 20 Euro. Auf die Dauer eines regulären Aufenthalts von drei bis sechs Monaten gerechnet, kommt dabei dennoch leicht eine vierstellige Summe zusammen. „In der Regel bleiben die Frauen ein halbes Jahr im Frauenhaus, manche kürzer, manche länger“, sagt Leiterin Kapan und verweist auf die fehlenden Mittel der Opfer. „Es ist ein langwieriger Prozess. Viele Frauen haben in ihrem Leben in ständiger Abhängigkeit gelebt – sowohl emotional als auch finanziell“, sagt sie. Doch darauf nehmen die Verordnungen keine Rücksicht.
Da sich die Tagessätze überall unterscheiden, führt die Regelung auch zwischen den Kommunen zu Problemen. Die Heimatkommunen sind zwar weiterhin für die Betroffenen zuständig, aber nicht verpflichtet, für die Kosten des Aufenthalts in einer anderen Kommune aufzukommen. „Für sie ist das eine reine Kann-Leistung“, erläutert Katrin Lehmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. „Einige Frauenhäuser erhalten dann keine Kostenerstattung für den Aufenthalt der Frau.“ Besonders wenn der Betrag höher sei als in der Heimatkommune, wolle diese häufig nicht zahlen. Diese Art der Finanzierung ist für eine Schutzeinrichtung gänzlich ungeeignet.“ Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Schleswig-Holstein. Dort werden die Frauenhäuser aus dem sogenannten Finanzausgleichsgesetz finanziert, was ermöglicht, Frauenhausplätze kostenlos anzubieten.
Frauen in Not, aber kein Schutz vor Abschiebung
In Baden-Württemberg aber müssen sich Sozial- und Jobcenter, die Frauen und Mitarbeitenden der Frauenhäuser, häufig mit komplizierten bürokratischen Vorgängen auseinandersetzen. Besonders heikel ist die Lage für Frauen, die nur einen befristeten Aufenthaltsstatus haben. Im Fall von Mara L., den Frauenhausleiterin Kapan ebenfalls schildert, bedrohte die bürokratische Regelung deren Zukunft in Deutschland.
Der Fall: Mara L. war gemeinsam mit ihrem Partner für ein Studium nach Deutschland gekommen. Der Mann trank, nahm Drogen, wurde gewalttätig – sie flüchtete ins Frauenhaus. „Sie kam zu uns mit einem vier Monate alten Baby auf dem Arm“, erzählt Kapan. Die junge Frau arbeitete in der Medizintechnik, hatte einen Aufenthaltstitel als Fachkraft. Da Mara L.s Söhne noch klein waren, bezog sie zu dieser Zeit Elterngeld, Kindergeld und bekam einen Unterhaltsvorschuss. Damit hatte sie ein relativ hohes Einkommen und bezahlte die Miete im Frauenhaus anteilig selbst.
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Damit die Frauenhäuser auch die täglichen Kosten für Beratung und Betreuung decken können, ist allerdings jede Frau dazu verpflichtet, einen Antrag auf Bürgergeld zu stellen. Für Frauen mit befristeten Aufenthaltsstatus bringt das oft Komplikationen. Als Mara den Antrag stellt, erlosch für sie ihr Aufenthaltsstatus als Fachkraft, weshalb das Jobcenter umgehend die Ausländerbehörde informierte. Und die stellte ein Ultimatum: Entweder sie verlasse mit ihren Kindern Deutschland oder werde abgeschoben. „Wir dachten, wenn es nicht anders geht, melden wir sie einfach als ausgezogen“, erinnert sich Kapan. Erst nach einigen Verhandlungen und Diskussionen der engagierten Helfer*innen konnte Mara L. in Deutschland bleiben. Eine Garantie oder Sicherheit gibt es für viele Frauen ohne deutschen Pass aber nicht.
Zukunft des Gewaltschutzes nach Ampel-Aus unklar
Wie die Landespolitik mit den bürokratischen Hürden umgeht? Wegen der unsicheren Kostenerstattung wurde 2022 von der SPD ein Gesetzentwurf zur besseren Finanzierung von Frauenhäusern im Landtag vorgestellt. Die Regierungsfraktionen lehnten den Vorschlag allerdings ab. Die Expertinnen Katrin Lehmann wie auch Nazan Kapan sehen die einzig sinnvolle Lösung seitdem in einem Gesetz auf Bundesebene. Und kurzzeitig sah es so aus, als könnte dieses kommen. Im November stellte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) das sogenannte Gewalthilfegesetz im Bundestag vor. Das Gesetz sei ein Meilenstein, lobte Paus. Doch am selben Tag zerbrach die Ampel-Regierung. „Nun scheint das Vorhaben gescheitert zu sein“, schreibt der Verein Frauenhauskoordinierung kurz darauf in einer Stellungnahme. Es bleibe vor allem eines: „Enttäuschung über die nicht erfüllten Vereinbarungen und die Unsicherheit, wie es mit den strukturellen Verbesserungen im Gewaltschutz weitergeht.“
Nicola K., der an ihrem Geburtstag von ihrem Mann die Nase gebrochen wurde, muss sich weiterhin mit ihm auseinandersetzen. Die Behörden genehmigten ihm den Umgang mit den Kindern. Sie wohnt inzwischen in einer eigenen Wohnung. Ohne den Schutz eines Frauenhauses wären sie und Mara L. und ihre Kinder vermutlich noch heute in Gefahr – und der Gewalt ihres Partners schutzlos ausgeliefert.